2 Jahre reformiertes Betreuungsrecht
Seit dem 1.1.2023 arbeiten die Akteure des Betreuungsrechts intensiv an der Umsetzung der Reform. Auch die überörtliche Betreuungsbehörde des KVJS ist maßgeblich involviert, unterstützt und berät die Betreuungsbehörden und Betreuungsvereine. Im letzten Teil unserer Sonderreihe zum Betreuungsrechtzieht zieht Referatsleiter Rouven Wrtal eine Zwischenbilanz.
Herr Wrtal, wo sehen Sie die größten Fortschritte durch die Reform?
Die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und der Autonomie standen schon bei den vergangenen Reformen im Mittelpunkt. Jetzt aber ist die so genannte „Wohl-Schranke“ gefallen. Das bedeutet, dass sich ein Betreuer nicht mit Verweis auf das vermeintlich objektive Wohl des Betroffenen über dessen Wünsche hinwegsetzen darf, sondern diese umsetzen muss. Das ist ein großer Fortschritt.
Ein weiterer Aspekt betrifft die Qualität der rechtlichen Betreuung: Erstmals werden verbindliche gesetzliche Anforderungen an die Eignung und Sachkunde von Berufsbetreuern gestellt. Über die Berufszulassung entscheiden die Betreuungsbehörden durch die so genannte „Registrierung“.
Auch für ehrenamtliche Betreuer gibt es Änderungen. Sie sollen sich durch eine schriftliche Vereinbarung an einen Betreuungsverein binden. Gleichzeitig haben die Betreuungsvereine erstmals einen Rechtsanspruch auf die Förderung ihrer Querschnittsarbeit, also der Gewinnung und Begleitung von Ehrenamtlichen. Die finanziellen Mittel wurden in Baden-Württemberg mehr als verdoppelt.
Wo liegen aus Ihrer Sicht die Herausforderungen?
Die Reform des Betreuungsrechts erfordert vor allem ein Umdenken. Wie bereits erwähnt haben Menschen das Recht, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Betreuer sind verpflichtet, ihren Wünschen zu folgen. Die Interessen des Umfeldes, der Institutionen und Einrichtungen sind nicht maßgeblich. An der Verwirklichung dieses Rechtsanspruches arbeiten die Betreuungsbehörden, die Betreuungsvereine und die rechtlichen Betreuer täglich in ihrem Handeln, in Kooperationsgesprächen und Informationsveranstaltungen. Dabei sind die Schnittstellenarbeit, die Zusammenarbeit mit Leistungsträgern, Leistungserbringern und den Betreuungsgerichten sowie die Öffentlichkeitsarbeit wesentliche Erfolgsfaktoren.
Eine weitere Herausforderung stellt der Fachkräftemangel im Betreuungswesen dar. Die gestiegenen Anforderungen an die Registrierung als Berufsbetreuer verschärfen die Situation zusätzlich. Es wird immer schwieriger, Menschen für diese Aufgabe zu gewinnen. Der Bundesgesetzgeber hat einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Betreuervergütung vorgelegt, der Vereinfachungen vorsieht, aber leider keine nennenswerten Verbesserungen mit sich bringt.
Wie hat sich die Kommunikation der Akteure untereinander entwickelt?
Die Zusammenarbeit zwischen rechtlichem Betreuer und Betreutem hat einen hohen Stellenwert. Das Gesetz sieht nun auch ganz klar vor, dass die Sicht der Betreuten in die Berichte der Betreuer und Betreuungsbehörden einfließen muss, was sich positiv auf die Kommunikation untereinander auswirkt. Auch die Kommunikation zwischen ehrenamtlichen Betreuern und Betreuungsvereinen wurde durch die schriftliche Vereinbarung intensiviert. Ebenfalls ist die Zusammenarbeit vor Ort zwischen der Betreuungsbehörde, ihren Netzwerkpartnern und den registrierten Betreuern durch die gesetzlichen Änderungen gestärkt worden. Die Frage nach der Erforderlichkeit einer rechtlichen Betreuung beziehungsweise die vorrangigen betreuungsvermeidenden anderen Hilfen haben die Schnittstellen zwischen Betreuungsbehörde und den Sozialleistungsträgern in den Fokus gerückt.
Was hat die überörtliche Betreuungsbehörde bisher zur Umsetzung der Reform beigetragen?
Für die Qualifizierung von Berufsbetreuern haben wir als überörtliche Betreuungsbehörde drei Sachkundelehrgänge im Land anerkannt. Die Betreuungsbehörden holen bei Zweifeln an der Sachkunde von Berufsbetreuern unsere Stellungnahme ein. Außerdem haben wir in einer Expertengruppe aus den Landkreisen eine Arbeitshilfe für die Betreuungsbehörden entwickelt. Sie soll die Fachkräfte unterstützen, wenn sie als ultima ratio selbst Betreuungen übernehmen müssen. Diese hat in der Zwischenzeit über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus Beachtung gefunden. Außerdem bieten wir ab sofort eine jährliche Fachtagung für die Sachgebietsleitungen an. Damit können wir ihre spezifischen Anliegen stärker in den Fokus rücken und den Austausch untereinander intensivieren.
Wir unterstützen auch die Betreuungsvereine. Auf einem Fachtag wurde zum Beispiel der Wunsch nach mehr Austausch zum Thema Vereinbarung geäußert. Wir haben das Anliegen direkt aufgegriffen, Workshops begleitet und gemeinsam Mustervereinbarungen entwickelt. Erwähnen möchte ich auch die Förderung der Betreuungsvereine, die in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium und Vertretern der Vereine an die gesetzlichen Neuerungen angepasst und deutlich erhöht wurde. Die Antragstellung beim KVJS wurde digitalisiert, die Abläufe schneller und effizienter gestaltet.
Mit unseren jährlich über 100 Fortbildungen und Veranstaltungen im Bereich der rechtlichen Betreuung gehören wir bundesweit zu den größten Fortbildungsanbietern. Wir greifen entsprechend der vielfältigen Aufgaben im Betreuungswesen unterschiedlichste Themen auf und reagieren auf Bedarfe der Praxis, zum Beispiel beim Fachtag Querschnitt 2024 zur „Kommunikation im Kontext Wunsch und Wille“.
Welche weiteren Impulse möchte die überörtliche Betreuungsbehörde setzen?
Im Rahmen der so genannten „erweiterten Unterstützung“ wird in fünf Modellkreisen erprobt, inwieweit Betreuungen durch ein zeitlich befristetes Fallmanagement der Betreuungsbehörden vermieden werden können. Wir sind im Modellbeirat vertreten und setzen uns für eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation ein.
Darüber hinaus hat der KVJS als Vorsitzender in der Landesarbeitsgemeinschaft für Betreuungsangelegenheiten eine Umfrage zum Betreuermangel initiiert. Gemeinsam mit den Behörden, Vereinen und den Landesministerien wollen wir tragfähige Lösungen entwickeln.
Auch mit unserem wachsenden Fortbildungsangebot wollen wir neue Impulse setzen. Zukunftsthemen sind beispielsweise die kulturelle Vielfalt in der Betreuungsarbeit oder die Unterstützung durch künstliche Intelligenz.
Auf Bundesebene setzt sich der KVJS für eine Erhöhung der Betreuervergütung ein. Dies steigert nicht nur die Attraktivität des Berufsbildes, sondern trägt auch zur Existenzsicherung der Betreuungsvereine und zur Vermeidung von Behördenbetreuungen bei.
Das Interview führte Julia Holzwarth