Flucht und Trauma – Umgang mit traumatisierten jungen Menschen
Online-Impulsveranstaltungen für die Schulsozialarbeit
Mit rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern starteten die Online-Impulsveranstaltungen des KVJS-Landesjugendamtes am 30. Mai und am 04. Juli 2022. Aufgrund der hohen Nachfrage und des Bedarfs wurden kurzfristig zwei Termine organisiert. Mit diesen Impulsveranstaltungen sollen – aus aktuellem Anlass – den Schulsozialarbeitenden niedrigschwellige Hinweise und Tipps für ihre Arbeit und zur Unterstützung von jungen Menschen mit Fluchterfahrungen und möglichen Traumatisierungen an Schulen gegeben werden. Folgen von Traumata zu kennen und deuten zu lernen ist wichtig und erleichtert das Verständnis für die jungen Menschen.
Die Organisierenden Claudio De Bartolo und Laura Dreikluft (KVJS-Landesjugendamt, Referat 44, Team Kinder- und Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit) begrüßten den Referenten Dr. Udo Baer (Semnos, Pädagogisches Institut Berlin), die Fachkräfte der Schulsozialarbeit in Baden-Württemberg und moderierten die Online-Veranstaltungen.
Dr. Udo Baer stellte zu Beginn seines Vortrages die drei Hauptthemen der Veranstaltungen vor:
- Wie zeigen sich traumatische Erfahrungen bei Kindern, Jugendlichen, jungen Menschen (und insgesamt bei Menschen)?
- Wie versteht man, was hier in einem Menschen passiert?
- Was können wir tun? Wie können wir helfen?
„Was ist ein Trauma?“
Nach der Handreichung von Dr. Udo Baer zur Veranstaltung ist ein Trauma eine „Wunde“. Das Wort stammt aus dem Altgriechischen und bezeichnet körperliche und seelische Wunden. Damit eine seelische Verletzung ein Trauma ist, bedarf es dreier Kriterien: Dass diese verletzende Erfahrung als existenzielle Bedrohung erlebt wird und dass sie die Menschen mit dem, was ihnen gerade an Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung steht, überfordert. Hinzu kommt, dass Traumata die Eigenschaft haben, bei den meisten Menschen nachhaltige Wirkungen zu zeigen. Dabei ist es unabhängig davon, ob die Menschen selbst unmittelbar bedroht und betroffen waren oder ob sie als Zeugen das traumatische Ereignis mitbekommen haben.
Wie zeigen sich traumatische Erfahrungen?
Menschen mit traumatischen Erlebnissen sind verstört, sie sind „durch den Wind“, sie bekommen „nichts auf die Reihe“, sie wirken „schräg“.
Junge Menschen aus der Ukraine erleiden derzeit eine existentielle Angst, sie sind „ohnmächtig“, die Situation hat sie überfallen. Viele sagen „ich bin aus dem Leben gefallen“. Ein Trauma macht Angst, es kann triggern, es kann Situationen hervorrufen. Wir können bei allen Kindern mit Fluchterfahrungdavon ausgehen, dass sie Angst haben. Kinder, die traumatische Erfahrungen erlebt haben, malen Abgründe, sie sind aus der normalen Welt herausgefallen.
Viele Menschen deuten ihre posttraumatische Verwirrung und ihr Verstört-Sein als „Verrücktheit“: „I’m so crazy!“ Unsere Antwort sollte sein: „Sie sind nicht verrückt, Sie sind normal. Das, was Sie erlebt haben, ist nicht normal.“
Wie versteht man, was hier in einem Menschen passiert?
Eine traumatische Erfahrung ist existenziell bedrohlich und überfordernd. Eine solche Erfahrung wirkt bei den meisten Menschen nach – und dies über lange Zeit. Eine traumatische Erfahrung betrifft nicht nur das Denken eines Menschen, sondern das Leid, das gesamte Erleben, die gesamte Persönlichkeit mit all den Gefühlen, Verhaltensweisen, körperlichen Wahrnehmungen, inneren Bildern, Sinnesqualitäten und dergleichen mehr.
Was können wir tun? Wie können wir unterstützen?
Kinder benötigen Halt. Bei einer Flucht lassen sie immer „jemanden“ zurück, sehr dramatisch ist es auch, wenn sie ihre geliebten Tiere zurücklassen müssen. Sie können nicht mehr lernen, sich nicht mehr konzentrieren. Ein weiteres Zeichen ist das Mißtrauen, daher ist es wichtig, eine vertraute Umgebung aufzubauen. Das Mißtrauen spüren in erster Linie die Helfenden. Ebenfalls werden sehr viele Kinder schreckhaft oder reagieren aggressiv.
Traumatisierte Menschen benötigen Sicherheit und Geborgenheit, Ausdruck und Gehör, Vertrautheit und Trost „Du bist nicht allein, ich passe jetzt auf dich auf“, gute Beziehungs- und Wirksamkeitserfahrungen müssen aufgebaut und ermöglicht werden sowie eine Parteilichkeit für die Würde. Fachkräfte, die traumatisierte junge Menschen begleiten und unterstützen benötigen das Recht zu fragen und sich zu interessieren und das Recht, Distanz zu halten, sich selbst und die Betroffenen ernst zu nehmen. Sie brauchen Schleusen zwischen Arbeit und Privatem, traumafreie Räume und einen kollegialen Austausch sowie Supervision zur Entlastung.
Dr. Baer unterstreicht: „Jede traumatische Belastung, jeder Traumafolge, jeder Mensch muss individuell betrachtet werden. Diagnostische Raster sind dafür Hilfen und Orientierungen, nicht weniger, aber auch nicht mehr“.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten nach dem Vortrag in den Austausch mit dem Referenten gehen. Eine Teilnehmerin bat um Rat. Sie fragte, ob es Sinn mache mit den Kindern Musik zu machen, zu Trommeln, Waldpädagogik und tiergestützte Angebote anzubieten – was Baer unbedingt befürwortete. Baer zeigte auf, dass es wichtig ist, den Kindern Sicherheit und positive Erfahrungen zu ermöglichen. „Gegen Ohnmacht hilft Machen“ – als Beispiel nannte er non verbale Aktivitäten, wie Basteln, Singen und Wertschätzungsgruppen zu bilden. Wichtig ist es, kleinere Gruppen zu bilden, da es meistens nicht funktioniert, wenn ein Kind in einer normalen Klasse untergebracht wird.
Quellenangabe zum Bericht:
- Mitschriebe zur Online-Impulsveranstaltung am 30.05.2022 sowie 04.07.2022 im Rahmen der Berichterstattung.
- Handout zur Online-Impulsveranstaltung mit Dr. Udo Baer am 30.05.2022. Umgang mit traumatisierten geflüchteten Kindern. Semnos / Pädagogisches Institut Berlin.
Tagungsunterlagen
Dr. Udo Baer (Semnos, Pädagogisches Institut Berlin)
Weitere Informationen zum Thema „Flucht und Trauma“ erscheinen regelmäßig „Im Rahmen der KinderWürde“ (einer Kooperation der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, des Instituts für soziale Innovationen e.V. und des Pädagogischen Instituts Berlin) unter KINDERWÜRDE Udo Baer & Team (kinderwuerde-udo-baer.de).
Ebenfalls besteht dort die Möglichkeit zur Newsletteranmeldung. Einen Überblick über Blogbeiträge zur KinderWürde erhält man hier: Blog – Pädagogisches Institut Berlin (paedagogisches-institut-berlin.de)