Zwangsverheiratung wirksam bekämpfen

Kommunal vernetzt und gut aufgestellt  

Die Istanbul-Konvention des Europarats (IK) ist ein internationales Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. In Artikel 81 wird Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Menschenrechtsverletzung und als Zeichen der Ungleichstellung von Frauen und Männern definiert. Die Konvention enthält umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt sowie zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter:innen. 

Seit Februar 2018 ist die Istanbul-Konvention auch in Deutschland geltendes Recht und hat wichtige Impulse für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf allen staatlichen Ebenen gesetzt. Anfang Oktober 2022 veröffentlichte der Kontrollausschuss des Europarats, GREVIO, seinen ersten Bericht zur Umsetzung der IK in Deutschland. Dieser Bericht zeigt jedoch Lücken auf, beispielsweise in der Prävention und Früherkennung, und betont den Bedarf an stärkerer Vernetzung und Zusammenarbeit. Besonders die kommunale Ebene spielt dabei eine wichtige Rolle. 

Vor diesem Hintergrund organisierte eine Vorbereitungsgruppe bestehend aus dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration, der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der Aktion Jugendschutz Landesarbeitsstelle, der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e.V., dem Fraueninformationszentrum und dem KVJS - Landesjugendamt den Fachtag „Zwangsverheiratung wirksam bekämpfen“ am 30. Oktober 2024. Ziel der Veranstaltung war es, auf das Thema Zwangsverheiratung verstärkt aufmerksam zu machen. 

Den Fachtag eröffnete Dr. Ute Leidig (MdL Staatssekretärin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg) mit einem eindringlichen Grußwort, in dem sie auf Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes verwies: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Darauf folgt Artikel 2, der das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit betont. Frau L. machte klar, dass Zwangsverheiratung nicht mit dem deutschen Grundgesetz und den Grundwerten der Gesellschaft vereinbar ist. Zwangsverheiratung sei eine Menschenrechtsverletzung, die bestraft und keinesfalls toleriert werden dürfe. Trotzdem gab es laut einer Umfrage von Terre des Femmes im Jahr 2022 allein an Berliner Schulen 500 Fälle drohender Zwangsverheiratung, meist durch Eheschließungen im Ausland. Das Recht auf freie Wahl des Ehepartners ist zentral für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung, doch in manchen Familienstrukturen wird dieses Recht, insbesondere Mädchen und Frauen, manchmal auch Männern, verwehrt. Dies dürfe die Gesellschaft nicht hinnehmen, vielmehr sei Handeln erforderlich, betonte Dr. Ute Leidig. 

Viktoria Kornhaas, die Koordinatorin zur Umsetzung der IK in Karlsruhe, stellte in ihrem Impulsvortrag das Karlsruher Konzept als Best-Practice-Beispiel vor. Karlsruhe hat eine 100%ige Koordinierungsstelle eingerichtet, um die Vernetzung der verschiedenen Akteure vor Ort sicherzustellen und zu fördern. Diese Zusammenarbeit ist entscheidend, um drohende Gefahren frühzeitig zu erkennen und abzuwehren. Auch klare Verfahrensabsprachen und ein zuverlässiges Monitoring sind unabdingbar, um präventiv tätig zu werden. Zudem sei es wichtig, Kolleg:innen in Behörden und anderen Institutionen für das Thema zu sensibilisieren. 

Einblicke in die Praxis der Prävention bot das Theaterensemble „Mensch: Theater“ mit einem interaktiven Stück. Dabei wurden die Teilnehmenden immer wieder dazu angeregt, darüber nachzudenken, wie Außenstehende eingreifen und Betroffene von Zwangsverheiratung unterstützen können. 

Am Nachmittag wurde ein buntes Angebot an Workshops angeboten: 

  • Workshop 1: Nicht für die Schublade, sondern für die Praxis Erarbeitung einer Arbeitshilfe und Verfahrensabsprache für Kommunen am Beispiel des Landkreises, Rastatt Tamina Hommer, Landratsamt Rastatt  
  • Workshop 2: Zwangsverheiratung geht uns alle an! Zertifizierungsreihe für alle Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg,  Silke Grasmann, Aktion Jugendschutz, (ajs)  
  • Workshop 3: Die Queere Schutzwohnung Berlin Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Berlin Spree-Wuhle e.V.  
  • Workshop 4: Gewalt im Namen der „Ehre" Über die Arbeit mit männlichen Jugendlichen zu Themen wie Gleichberechtigung und Geschlechterrollen im Kontext von Ehrkultur, Alexander Yussufi, Way of X  
  • Workshop 5: Erfahrungen und Impulse zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Zentrale Anlaufstelle FGM/C Baden-Württemberg Beratungsstelle YASEMIN (eva), Fraueninformationszentrum (FiZ)  
  • Workshop 6: Umgang der Polizei mit Zwangsverheiratungen.  Lage, Ermittlungen und Opferschutz Julia Helle, Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Referat Prävention 
     

Zum Abschluss wurde betont, wie wichtig es ist, das Bewusstsein für das Thema Zwangsverheiratung auf breiter Ebene zu stärken. Eine gut informierte und sensibilisierte Gesellschaft kann aktiv dazu beitragen, Betroffene zu unterstützen und präventiv zu handeln. Dabei geht es nicht nur um spezialisierte Fachstellen, sondern auch um Sensibilisierung im Alltag – in Schulen, Behörden und öffentlichen Einrichtungen. Ein Netzwerk aus geschulten Akteur:innen muss Gefahren erkennen, ohne die Situation der Betroffenen ungewollt zu verschärfen, und wissen, an wen sie sich im Verdachtsfall wenden können. 

Der Fachtag war ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg, das Thema Zwangsverheiratung nachhaltig anzugehen. Besonders beeindruckend war die Vielfalt der Teilnehmenden, zu denen Politiker:innen, Anwält:innen, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, Beratungsstellen, kommunale Mitarbeitende, Studierende und Betroffene zählten.